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Kann jemand ein glückloser Glückspilz sein? Gibt es die Möglichkeit Glück zu trainieren wie einen Muskel? Und wenn ein berühmter Gänserich genug Schwein hat und trotzdem nicht glücklich ist, was braucht er dann? Fragen über Fragen, denen fröhlich nachzugehen es sich lohnt.
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Der Glücksmuskel

Ein gedankliches Laienspiel mit Gustav Gans, einem Schwein und der Frage, ob glücklich ist wer Glück hat

Schon allein sprachlich tun wir Deutschen uns traditionell schwer mit dem Glück. Denn erst seit 1160 gibt es für "das Gelücke" überhaupt ein Wort - ein recht kurzer Zeitraum, wenn man bedenkt, dass die vedische Tradition in Indien sich schon 8000 v. Chr. intensiv mit Methoden zur Erlangung der "Glückseligkeit" befasste. Dabei scheint es mit Fortunas Freundlichkeit oder dem deutschen Erfahrungshorizont mit dem Glücksbegriff auch gar nicht so weit her gewesen zu sein. Denn irgendwie kann man beim "Glück" nicht so recht von glücklicher Wortwahl sprechen - weiß doch keiner so recht, wovon wir reden, wenn wir "Glück" sagen. Die gängigste Meinung ist vielleicht, dass "Glück" so etwas ist wie permanent "Glück haben" - ein Zustand, in dem die Freuden aus Fortunas Füllhorn unentwegt auf uns niederströmen wie der Regen in diesem Sommer. Wo man permanent Schwein hat - und das auch noch mit einer vergoldeten Suhle. Im Lotto gewinnt, obwohl man nur einmal gespielt hat. Im Supermarkt immer in der kürzesten Schlange steht und einem dabei auch noch die ewige Liebe vor oder besser noch in den Einkaufwagen fällt. "Hurra, Glück gehabt!" kann der oder die Glückliche dann sagen und glücklich werden bis ans Lebensende.

Gustav: Ein glückloser Glückspilz mit Schwein

Beschäftigt man sich aber einmal intensiver mit einen Hätschelkind der Glücksgöttin in der Literatur, macht man seltsame Beobachtungen: Um es gleich zu sagen und einige Literaturfreunde zu verschrecken: Ich spreche hier von Gustav Gans - Donald Ducks Rivale, der immer da Glück hat, wo Donald vom Pech verfolgt ist. Gustav macht, obwohl er die unangefochtene Nummer eins im Ranking der Glückspilze ist, komischerweise gar nicht den Eindruck, glücklich zu sein. Während sich Donald trotz seines ständigen Scheiterns immer voll hoffnungsvoller Leidenschaft und Vorfreude auf zukünftige Erfolge in sein nächstes Projekt stürzt, umweht Gustav ein seltsamer Hauch von Überdruss. Als fühlte sich der Gänserich in der Gesellschafts des Schweins, das er mit beharrlicher Eintönigkeit hat, gar nicht so himmelhochjauchzend wohl, wie man eigentlich annehmen könnte. Nicht unkomfortabel, aber doch ein wenig gelangweilt von dem Gefährten, der "nöff, nöff" immer aufs neue tolle Dinge aus dem Füllhorn der Glücksgöttin hervorlockt. Es scheint oft, als wäre das Einzige, was Gustav zum Glück fehlt, das Glücklichsein.

Glücklich sein und "Glück haben"

Wer Gustavs Geschick und emotionale Befindlichkeit auf lebensphilosophische Überlegungen überträgt, dem drängt sich angesichts seines "Unglücks im Glück" die Frage auf, ob das "Glück haben" glücklich macht. Nun ist das ja bei Gänsen vielleicht anders als bei Menschen. Doch auch schon Freud hat behauptet, dass Fortuna einen letztlich nicht glücklich werden lässt, weil "der Mensch nicht für das Glück gemacht" sei. Glücklicherweise hat er nicht nur Fürsprecher, sondern es gibt auch diverse Gegenstimmen, die alle aufzuschreiben ein Lebenswerk ausmachen würden. Bei meinen kleinen persönlichen Glücksforschungen bin ich aber durch einen Vortrag zum Thema "Glück" der jungschen Analytikerin Dr. Ingrid Riedl auf einen spannenden Ansatz gestoßen, den ich jetzt mal laienhaft, aber voll fröhlicher Faszination nachzeichnen will.

Der Glücksmuskel


Sie berichtete nämlich von den Forschungen von Dr. Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen, der u. a. die Entstehung von Empfindungen untersucht. Gerald Hüther spricht davon, dass es ein neurophysiologisches System gibt, dessen Funktion es ist, glückliche Gefühle zu erzeugen. Und - jetzt kommt das eigentlich Spannende -, dass dieses System aus neuronalen Verschaltungen, Botenstoffen etc., umso besser funktioniert, je mehr es beansprucht wird. Ähnlich wie ein Muskel bewegt werden muss, um nicht zu degenerieren, so braucht das Glückssystem Bewegung und "Auslauf", um funktionieren zu können. Es macht in dem Zusammenhang durchaus Sinn, von einem "Glücksmuskel" zu sprechen, der trainiert werden kann und muss. Wobei "trainiert werden" in dem Fall heißt, nicht nur Glück zu haben, sondern auch daran zu arbeiten das Glückliche, Gute, Spannende wahrzunehmen. Letzten Endes heißt das auch: Genießen. Sich sinnliche und geistige Vergnügen dann, wenn sie da sind, ebenso bewusst zu machen, wie das "Glück haben", wenn es denn passiert.

Ein Personal Trainer für Gustav

Die Wahrnehmungs- und Genussfähigkeit für das Glück ist es, was Gustav Gans fehlt. Er ist letztlich ein glückloser Glückspilz - einer, dem das Glück haben so zur Gewohnheit geworden ist, dass er es nicht mehr wertschätzen kann. Ich bin weit davon entfernt, Unglück für Gustav zu fordern, damit er mal merkt, wie gut er es eigentlich hat. Wohl aber einen Personal Trainer für seinen Glücksmuskel, der sein Schwein einmal versteckt und ihm zeigt, dass es nicht reicht, sich in das Glück wie in eine ewige Badewanne hineinsinken zu lassen. Sondern dass wir für das Glück, was vielleicht aus nicht mehr und nicht weniger als einer Ansammlung glücklicher Momente besteht, immer wieder mit unserem Handeln und vor allem Wahrnehmen aktiv werden müssen. Dass wir die Sinne für alle Facetten des Schweines, dass wir alle ab und an und viel öfter als gedacht haben, schärfen und auf einmal staunend die ganzen Nuancen entdecken, das Unerwartete im Gewohnten - und auch das Gute im Guten. Das ist ein wenig Arbeit, nicht einmal, sondern immer wieder. Aber etwas, was wir vielleicht wirklich für unser Glücklichsein tun können - wozu man angesichts Fortunas Launen nur sagen kann: zum Glück!

(c) Judith de Gavarelli 2005


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