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Lessness als Genießerstrategie von Michael Simperl 

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Der Münchener Autor des Buches "Lessness", Michael Simperl, hat sich für Artediem über den Zusammenhang zwischen "Weniger", Glück und Genißen gemacht. Und ermuntert zu einer Lebenshaltung jenseits von größer, schneller, neuer besser, die interessanterweise alles andere als asketisch ist.
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Lessness: Genießerstrategie der besonderen Art

Noch nie in seiner Geschichte war der Mensch von so vielen Dingen umgeben wie heute. Waren in einem Durchschnittshaushalt bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch rund 100 Gegenstände versammelt, birgt ein moderner Haushalt nicht selten bis zu 10.000 Dinge. Immer weitere kommen nach, immer mehr sind komplexer denn je.

Neben den Espresso-Tassen müssen neuerdings Latte-Macchiato-Sets Platz finden. Joghurt-Maschine, Brotback-Automat und Gyros-Grill konkurrieren mit der neuen High-End-Saftpresse um die letzten freien Stellplätze in der Küche. Die Fernbedienung eines typischen DVD-Spielers kommt mit weniger als 50 Tasten kaum mehr aus. Wer sich einfach nur eine neue Sportausrüstung zulegen will, muss sich immer häufiger mit skurrilem Fachchinesisch herumschlagen. Oder vielleicht haben Sie ja auch schon einmal in einem Bedienermenü, zum Beispiel Ihres neuen Autos, irrtümlicherweise eine falsche Taste aktiviert – und das entsprechende Untermenü erst nach stundenlangem Suchen wieder gefunden, um den Fehler korrigieren zu können.


Immer mehr wird immer größer, schneller, „neuer“ und „besser“

Phänomene wie diese sind symbolhaft für das Leben in einer satten Konsum- und Mediengesellschaft, die nicht mehr wirklich etwas braucht. Denn was sich in den meisten Haushalten auf diese oder ähnliche Weise abspielt, gilt auch für viele andere Lebensbereiche: Immer größer, immer weiter, immer mehr, immer „neuer“, immer „besser“ heißt die Devise. Das mag man bei einer einzigen Sache vielleicht noch als durchaus bereichernd sehen. Seit jedoch mehr und mehr Bereiche unseres Lebens von diesem Beat bestimmt sind, empfinden viele Menschen den Umgang mit den Dingen um sie herum zusehend als unnötig Zeit und Nerven raubend.


Wie viel weniger hatten wir noch vor 20 Jahren

Zwei parallel laufende Entwicklungen sind es, die dafür sorgen, dass unser Leben auf diese Weise immer komplexer wird: Zum einen werden die Dinge, die bereits „eingeführt“ sind – ob Spülmaschine, Weingläser, Urlaubsreise oder auch viele Lebensmittel –, mit immer mehr Funktionen und Besonderheiten versehen oder in immer weiter verzweigten Varianten angeboten. Zum anderen kommen, dank technischem Fortschritt oder dem bewussten Setzen neuer Trends, immer weitere neue hinzu – in den letzten zwei Jahrzehnten unter anderem PC, Handy, Mikrowellenherd, Organizer, DVD-Spieler, Navigationssystem und die Nordic-Walking-Ausrüstung (von den zahllosen Bekleidungstrends, die mittlerweile im Drei-Monats-Takt gesetzt werden, ganz zu schweigen).


Größer denn je: Die Qual der Wahl

Für den einzelnen „Verbraucher“ bedeutet dies zweierlei: der bereits vorhandene Besitzstand, der in seiner Summe immer komplexer geworden ist, fordert mehr Kapazität. Und der Entscheidungsprozess, wenn wir uns etwas Neues kaufen wollen, ist komplizierter denn je. Denn natürlich wollen wir sicher sein, die für uns beste Lösung gefunden zu haben, um damit so zufrieden wie möglich zu sein. Was mit zunehmender Auswahl und Komplexität immer schwieriger wird. Schon mal versucht, Handy-Telefontarife sinnvoll miteinander zu vergleichen? Auch unser geistiger Besitz ist übrigens größer denn je. Allein die Medien produzieren Tag für Tag eine nie da gewesene Menge an Nachrichten, Informationen und Idealbildern. Unsere Kultur des Individualismus erzeugt und erlaubt immer neue Arten des Lebensentwurfs und der Selbstdefinition.


Das gab’s noch nie: Das Viele wird schön langsam zu viel

Sie ahnen schon, was zwangsläufig irgendwann auf der Strecke bleibt: Der Genuss. Deshalb werden es vermutlich nicht Berufsasketen, sondern vielmehr die echten Genießer von heute sein, die vielleicht als Erste eine Weisheit wieder bewusst leben werden, die in der modernen Konsumgesellschaft unter den Tisch gefallen ist: Weniger ist manchmal wirklich mehr. Ja, es ist tatsächlich so: Viele von uns müssen wirklich erst wieder lernen, dass es zum modernen Credo des „Mehr ist mehr“ auch eine Alternative gibt, die wir jederzeit wählen können, wenn wir wollen – nicht als zähneknirschenden Verzicht, sondern als weise Entscheidung, damit das Leben wieder glücklicher wird. Und als notwendige Antwort auf die historisch einmalige Situation, dass sowohl unser Besitz als auch unsere Wünsche ein riesiges Ausmaß eingenommen haben – während sich gleichzeitig viele Menschen von ihren wahren Wünschen und Passionen immer mehr entfernen, weil uns die Werbung, die Medien, der Freundeskreis und auch wir selbst uns viele vermeintliche Bedürfnisse einreden.


Was ist nur eingeflüstert – und wofür schlägt wirklich unser Herz?

Was ist nun gemeint mit „Weniger ist mehr“, mit einem Leben nach der Lessness-Devise? Pauschaler Verzicht und Konsumverweigerung jedenfalls nicht. Vielmehr geht es darum, Besitz und Wünsche wieder mehr an der eigenen Persönlichkeit auszurichten, sprich einfach einmal inne zu halten und ehrlich gegenüber sich selbst zu sein. Wofür schlägt wirklich das Herz – und was tut man nur aus Statusgründen, weil es „die anderen“ so machen, weil es „neu“ und „besser“ ist, oder weil man einfach glaubt, dass dies in der jetzigen beruflichen Position nun mal dazugehöre? Das mag simpel klingen. Für nicht wenige Menschen ist es jedoch etwas, zu dem sie gar nicht mehr kommen, weil sie die Alltagsgedankwelt so auf Trab hält.


Je weniger Ablenkung, umso mehr Zeit zum Genießen

Wer auf diese Weise Besitz und Wünsche wieder mehr mit sich in Einklang bringt, wird eine angenehme Entdeckung machen: Vieles, was man bisher dringend zu brauchen glaubte, fällt plötzlich weg. Was übrig bleibt, ist nicht selten eine kleine, aber feine Sammlung der persönlichen Herzensangelegenheiten. Denen man sich dann mit ganz neuer Intensität widmen und sie so richtig genießen kann. Weil mehr Zeit und mehr geistige Kapazität zur Verfügung stehen – und oft auch mehr Geld (für das man sich dann auch allerfeinste Qualität leisten kann).


Warum Lessness auch freier macht

Und es geht sogar noch weiter mit dem Genießen: Nicht wenige Menschen empfinden es als echte Befreiung, all die Dinge und Wünsche abgelegt zu haben, die in Wahrheit gar nicht die ihrigen sind. Zu erleben, wie einen plötzlich viele, vermeintlich wichtige Dinge kalt lassen, für die man sich einst mit Geld, Zeit und Nerven ins Zeug gelegt hätte, kann ein echter Hochgenuss sein. Ebenfalls einen besonderen Genuss kann die unerwartete Erkenntnis schaffen, wie wenig materieller Dinge es doch in Wahrheit bedarf, um mit sich und der Welt zufrieden zu sein. Womit man spätestens dann ganz auf den Spuren des alten Sokrates wandelt, der sich beim Gang über den Athener Markt gefreut haben soll: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, deren ich nicht bedarf“.


„Lessness. Weniger ist mehr – genieße es“: Über das Buch

Rahmengenähte Schuhe statt Billigtreter, feine Bio-Lebensmittel statt Fastfood, Urlaub in stilvollen Fin-de-Siècle-Kurorten statt an Massenplätzen: Schon wer nur einige der zahlreichen Anregungen und Tipps aus diesem – bewusst als Ratgeber konzipierten – Buch erfasst, erkennt schnell, dass hinter der Idee von Lessness (von engl. „less“ = weniger) alles andere als Verzicht und Konsumverweigerung stehen. Im Gegenteil: Anhand vieler, am Alltagsleben orientierter und oft witzig formulierter Beispiele zeigt Autor Michael Simperl, wie sehr es den Genuss am Leben und an den Dingen steigern kann, den einen oder anderen Lebensbereich bewusst nach der Devise „Weniger ist mehr“ zu gestalten. Der Münchner weiß aus eigener Erfahrung, wovon er spricht: Durch den allgemeinen wirtschaftlichen Rückgang seiner Branche in den letzten Jahren lebt der Werbefachmann schon seit einigen Jahren in vielen Bereichen seines Lebens „less“ – anfangs alles andere als freiwillig, inzwischen jedoch mit tiefer Zufriedenheit. „Lessness. Weniger ist mehr – genieße es“ ist im Februar 2005 im Econ-Verlag erschienen und in jeder Buchhandlung erhältlich.


Mehr über Lessness und den Autor erfahren Sie auch unter www.lessness.de.

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